BUNDESGERICHT

Persönlicher VerkehrPraxishinweise

BGE 5C.69/2004 vom 14. Mai 2004
• Besuchsrecht des leiblichen Vaters gegen den Willen der obhutsberechtigten Mutter Dem leiblichen Vater darf das Besuchsrecht seines bei der Mutter und dessen Stiefvater lebenden Kindes nur dann entzogen werden, wenn wichtige Gründe vorliegen. Die Tatsache, dass der leibliche Vater und das Kind einander fremd sind, bedeutet nicht zwangsläufig, dass bei der Ausübung des Besuchsrechts Schwierigkeiten entstehen. Obwohl die Mutter geltend gemacht hat, ihr Ehemann habe die soziale und psychische Rolle des Vaters übernommen, das Kind sei in der Familie integriert und betrachte den leiblichen Vater als Fremden, hat das Bundesgericht ein begleitetes Besuchsrecht des leiblichen Vaters gutgeheissen.

BGE 5C.71/2003 vom 6. Mai 2003 (in ZVW 2003 S. 442)
• Entzug des Besuchsrechts als ultima ratio. Der Anspruch auf angemessenen persönlichen Verkehr fliesst aus den Persönlichkeitsrechten des Kindes aber auch aus jenen des nicht obhutsberechtigten Elternteils. Allein die Tatsache, dass die Ausübung des Besuchsrechts mit Konflikten verbunden ist, vermag eine vollständige Unterbindung des persönlichen Verkehrs nicht zu rechtfertigen. Liegt eine (bestrittene) Anschuldigung wegen sexuellen Missbrauchs vor, die Gegenstand einer strafrechtlichen Untersuchung bildet, verlangt das Wohl des Kindes (nicht nur dessen körperliche Unversehrtheit, sondern wegen allfälliger Loyalitätskonflikte auch sein psychisches Gleichgewicht), dass spezielle Massnahmen ergriffen werden (in casu begleitetes Besuchsrecht), nicht aber, dass das Besuchsrecht entzogen wird.

Urteil Obergericht Kanton Luzern vom 23. Mai 2002 (FamPra.ch, 1/2003 S. 191ff)
• Eine gänzliche Aufhebung des Besuchsrechts ist nur in besonderen Ausnahmefällen zu tolerieren. Wenn das Kind bloss die Sicht und Werturteile des Erwachsenen wiedergibt, rechtfertigt sich die Aussetzung des Besuchsrechts grundsätzlich nicht. Schilderungen des Kindes aus seiner eigenen Erfahrungswelt, die ganz konkret mit ihm selber zu tun haben, kommt ein grösseres Gewicht zu.

BGE 5P.263/2005 vom 27. September 2005 (Meier/Häberli in ZVW 100)
• Auflage eines Therapiebesuchs. Das Besuchsrecht kann Bedingungen unterworfen und mit Auflagen verknüpft werden; so kann z. B. auch der Besuch einer Therapie angeordnet werden. Zwar dient das Besuchsrecht primär den Interessen des Kindes, seine Regelung hängt indessen nicht allein von dessen Wünschen ab. Es ist in jedem Einzelfall zu ergründen, wieso das Kind den nicht sorgeberechtigten Elternteil ablehnt und ob die Gewährung eines Besuchsrechts tatsächlich sein Wohl beeinträchtigt. Haben die zwei 10- bzw. 11-jährigen Mädchen ihren Vater seit zwei Jahren nicht mehr gesehen und lehnt ihre Mutter strikt jeden Kontakt ab, so droht ein endgültiger Bruch mit dem Vater. Die Anordnung einer therapeutischen Hilfestellung für Vater und Kinder mit dem Ziel, Vorschläge für die Wiederaufnahme der Besuche zu formulieren, falls diese dem Kindeswohl zuträglich sind, erscheint deshalb nicht unverhältnismässig.

BGE 131 III 209 (= 5C.199/2004 vom 19. Januar 2005)
• Umfang des persönlichen Verkehrs bei konflikthaften Elternverhältnissen. Der regionalen Übung zum Umfang des Besuchsrechts kommt bei dessen Ausgestaltung im Einzelfall eine gewisse Bedeutung zu, wobei indessen nicht allein darauf abgestellt werden kann. Oberste Richtschnur bildet immer das Kindeswohl, das anhand der konkreten Umstände zu beurteilen ist. Konflikte zwischen den Eltern sind kein Grund für eine Beschränkung des Besuchsrechts gegenüber dem Kind. Eine Beschränkung rechtfertigt sich einzig, wenn aufgrund der tatsächlichen Umstände davon auszugehen ist, dass die Gewährung des üblichen Besuchsrechts das Kindeswohl gefährdet. M.a.W. darf das Besuchsrecht nicht eingeschränkt werden, sofern das Verhältnis des Kindes zum besuchsberechtigten Elternteil gut ist – auch wenn zwischen den Eltern Spannungen bestehen. Eine Einschränkung ist jedoch zulässig, wenn das Kind in einen Loyalitätskonflikt gerät; solche Konflikte sind jedoch nicht leichthin anzunehmen. Loyalitätskonflikte stellen keineswegs eine geradezu notwendige Begleiterscheinung elterlicher Trennung dar und eine Beschränkung des Besuchsrechts erscheint insoweit ohnehin als wenig geeignete Massnahme. Tatsache ist, dass sich die meisten Kinder eine harmonische Beziehung zu beiden Elternteilen, aber auch eine Versöhnung bzw. eine Wiedervereinigung der Eltern wünschen. Daran ändern besuchsrechtliche Restriktionen nichts. Zudem überwiegen die positiven Aspekte regelmässiger Besuche beim anderen Elternteil (namentlich Erleichterung der Trennungsverarbeitung, Ergänzung der Erziehungsstile, Identifizierungsmöglichkeit, Steigerung des Selbstwertgefühls, Beratungsmöglichkeit in der Pubertät und später bei der Berufswahl) die negativen (anfängliche Beunruhigungen und mögliche Belastungen). Ferner kann die ungestillte Sehnsucht nach dem abwesenden Elternteil auf die Dauer schädlichere psychische Auswirkungen zeitigen, insbesondere wenn sich das Kind ein ideales Bild vom betreffenden Elternteil aufbaut. Die Forschung hat im Übrigen ergeben, dass Besuche, wenn sie richtig angelegt und einige Zeit durchgeführt werden, eine entspannende Wirkung gerade bei Konfliktsituation haben können, indem sich deren Auswirkungen bei jedem Besuch mehr und mehr verringern.

BGE 130 III 585 (= 5C.123/2004 vom 15. Juli 2004)
• Besuchsrechtsbeschränkung bei gespannten Elternverhältnissen. Ist das Verhältnis zwischen dem besuchsberechtigten Elternteil und dem Kind gut, dürfen Konflikte zwischen den Eltern nicht zu einer einschneidenden Beschränkung des Besuchsrechts auf unbestimmte Zeit führen.

BGE 5P.276/2005 vom 28. September 2005 (Meier/Häberli in ZVW 2006 S. 100)
• Anhörung durch die Vormundschaftsbehörde. Der Umstand, dass ein Gutachten erstellt wird, befreit die Vormundschaftsbehörde nicht von ihrer Pflicht, das betroffene Kind anzuhören; die Anhörung lässt sich nicht einfach mit einer kinderpsychiatrischen Begutachtung gleichsetzen. Eine Anhörung durch den Beistand, der die Ausübung des Besuchsrechts zu überwachen hat, genügt nicht

BGE 5C.293/2005 vom 6. April 2006 (in ZVW 2006 S. 200)
• Hinsichtlich der Frage der Zuteilung der elterlichen Sorge ist ein Kind im Allgemeinen ab dem 12. Altersjahr urteilsfähig. Bezüglich des Besuchsrechts dürfte die Urteilsfähigkeit schon bei etwas jüngeren Kindern gegeben sein. Allerdings kann der ablehnenden Haltung eines 10-Jährigen nicht ausschlaggebendes Gewicht zukommen, zumal er nicht abzuschätzen vermag, was der Abbruch des persönlichen Kontakts mit seinem Vater mittel- und längerfristig für Folgen haben könnte.

BGE 5C.209/2005 vom 23. September 2005 (Meier/Häberli in ZVW 2006 S. 98)
• Anhörung des Kindes. Das Kind kann grundsätzlich ab dem Alter von 6 Jahren angehört werden; wird eine entsprechende Anhörung verlangt (entweder vom Kind selbst, wenn es die erforderliche Urteilsfähigkeit hat, oder von einer der Parteien), so muss sie vorgenommen werden. Im Alter von 11 bis 13 Jahren verfügt das Kind über die erforderliche Urteilsfähigkeit, selbst seine Anhörung zu verlangen.

BGE 5C.293/2005 vom 6. April 2006 (Meier/Häberli in ZVW 2006 S. 199f.)
• Anordnung eines (begleiteten) Besuchsrechts gegen den Willen des Vaters? Der gänzliche Ausschluss eines Elternteils vom persönlichen Verkehr ist nur zulässig, wenn die nachteiligen Auswirkungen des persönlichen Kontakts sich nicht anderweitig in für das Kind vertretbaren Grenzen halten lassen (ultima ratio). Reicht ein begleitetes Besuchsrecht aus, so verbieten das Persönlichkeitsrecht des nicht obhutsberechtigten Elternteils, der Grundsatz der Verhältnismässigkeit, aber auch Sinn und Zweck des persönlichen Verkehrs dessen gänzliche Unterbindung. Ein begleitetes Besuchsrecht ist auch dann anzuordnen, wenn der Vater ein solches an sich ablehnt, ausser er hätte klar zu erkennen gegeben, dass er an einem Besuchsrecht überhaupt nicht interessiert sei, fass ihm dieses nicht uneingeschränkt gewährt würde.

BGE 122 III 404 vom 1. November 1996
• Begleitetes Besuchsrecht und Ferienrecht (274 II). Wie Verweigerung oder Entzug des persönlichen Verkehrs nach Art. 274 II bedarf auch die Anordnung eines begleiteten Besuchsrechts konkreter Anhaltspunkte für die Gefährdung des Kindeswohls. Eine bloss abstrakte Gefahr einer möglichen ungünstigen Beeinflussung des Kindes reicht nicht aus, um den persönlichen Verkehr nur in begleiteter Form zuzulassen. Das gleiche gilt für den Entzug des Ferienrechtes. Wird behauptet, dass Besuche überhaupt bzw. unbegleitete Besuche beim besuchsberechtigten Elternteil dem Kind schaden, erweist sich ein Sachverständigengutachten zur Frage des Besuchsrechtes in der Regel als unumgänglich. Dies gilt auch dann, wenn die Parteien keinen entsprechenden Antrag gestellt haben (Offizial-/Untersuchungsmaxime).

BGE 126 III 219
• Errichtung einer Beistandschaft nach Art. 308 ZGB. Wenn ein Besuchsrecht wegen Gefährdung des Kindeswohls gestützt auf Art. 274 Abs. 2 ZGB verweigert wird und auch die Voraussetzungen für ein begleitetes Besuchsrecht nicht erfüllt sind, besteht kein Raum für die Anordnung einer Beistandschaft gemäss Art. 308 ZGB, die eine künftige Annäherung zwischen den Kindern und dem betreffenden Elternteil fördern soll.

BGE 5C.269/2006 vom 6. März 2007 (Meier/Häberli ZVW 2007 S. 210)
• Aufgaben des Erziehungsbeistands. In casu lehnt die Mutter jeden Kontakt zwischen ihrer 7-jährigen Tochter und deren Vater ab. Die Mutter wurde von der Vormundschaftsbehörde verpflichtet, dafür zu sorgen, dass der Kontakt zwischen Vater und Tochter per Telefon, Brief oder E-Mail aufrechterhalten bleibt. Bei derartigen Gegebenheiten darf der Erziehungsbeistand das Kind gegen den Willen der Mutter im Kindergarten besuchen, um ihm Geschenke und Briefe des Vaters zu übergeben bzw. vorzulesen. Angesichts der Abwehrhaltung der Mutter hat er keine andere Wahl und nimmt insoweit nur die ihm zukommende Vermittlerrolle wahr (vgl. auch BGE 126 III 219 E. 2c hinsichtlich der Weiterleitung von Briefen an seinen Elternteil, welchem kein Besuchsrecht zusteht). Die Interessen des obhutsberechtigten Elternteils sind von untergeordneter Bedeutung; Vorrang hat das Wohl des Kindes, welchem auch unter schwierigen Bedingungen das Recht zukommt, seinen Vater kennen zu lernen, und zwar nicht erst ab einem bestimmten Alter.

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